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10. Dezember 2017
eingestellt von Christian Haist

Odysseus-Aufführungen im Salmen haben durchweg überzeugt

Themen, die heute noch aktuell sind

Wenn die Schülerinnen und Schüler, die am Wochenende im Salmen die drei Odysseus-Aufführungen der jungen Theaterakademie Offenburg gesehen haben, nie wieder mit dem Thema konfrontiert werden, haben sie dennoch einige der wichtigsten Botschaften des antiken Stoffes mitbekommen. In einer großartigen Gemeinschaftsleistung wurde das Thema aktualisiert und in eindringlichen Bildern auf die Bühne gebracht.

Ernst und Spaß hielten sich dabei die Waage, was dafür sorgte, dass auch die Jüngsten im Publikum von Anfang bis Ende voll bei der Sache blieben. Dass Homers Epos zeitlose Grundfragen thematisiert, die auch nach fast 3000 Jahren noch die Menschen bewegen, war schon nach wenigen Minuten klar: Gibt es eine Rechtfertigung für Krieg? Gibt es eine Pflicht zur Gastfreundschaft gegenüber Fremden? Darf man das bequeme Leben genießen, wenn doch größere Aufgaben anstehen? Odysseus (Leon Herb) wird mehrfach von seinen Gefährten angeklagt, ihr Leben für seine Ziele aufs Spiel zu setzen. Doch hat er eine Wahl, wenn er glaubwürdig bleiben und für das Gute eintreten will? Seine Frau Penelope (Felicia Engert) und sein Sohn Telemachos (Finnegan Melchior) glauben an ihn und widerstehen den Anfeindungen während Odysseus‘ Abwesenheit. Die Freier, die Penelope bedrängen, gehören zur lustigen Abteilung der abwechslungsreichen Inszenierung: David Povkh und Jonas Rieder kommen als eingebildete Macker von heute daher. Ebenso komisch die Darstellung der Laistrygonen. Sie kommen als tumbe, aber gefährliche Kraftprotze daher, bei denen wohl die Menschenfresser aus Roald Dahls “Sophiechen und der Riese” Pate gestanden haben. Sehr überzeugend aber auch die ernsten Rollen, Onisha Wilsi unter anderem als Circe, Paula Neckermann als Nausikaa.

Die Regie (Paul Barone, Nina und Patrick Labiche, Sebastian Scheringer) hat auch bei anderen Figuren glaubwürdige und bildstarke Umsetzungen gefunden. So erscheint der Zyklop Polyphem als Fabelwesen, das von mehreren Schauspielern verkörpert wird, einer davon als Auge. Die Welt der Götter erscheint oft entrückt hinter einem je nach Beleuchtung durchsichtigen oder undurchsichtigen Gazevorhang. Auch Ortswechsel werden so umgesetzt, für Orientierung sorgt Hestia (Magdalena Hess), die auch als Erzählerin fungiert. Das Schiff, auf dem Odysseus und seine Gefährten unterwegs sind, ist ein Podest im Mittelgang des Raums, das Szenen in Opposition zur Bühne erlaubt. Starke Bilder, die durch die Musik (Komposition und Leitung Gerhard Möhringer-Groß) noch eindringlicher werden. Der Soundtrack besteht nicht aus Nummern, sondern ist ganz mit der Handlung verwoben und umso wirksamer.

Dass die Jugendlichen sich intensiv mit dem Stoff beschäftigt haben, wird an vielen Stellen deutlich. In Zeiten, in denen Flüchtlinge ihr Leben auf dem Meer riskieren und sich immer wieder die Frage nach Identität und Heimat stellen müssen, ist der umherirrende Odysseus ein Symbol für die existentiellen Ängste und Bedürfnisse des Menschen. Aus den Familiengeschichten der Mitwirkenden fließen moderne Erfahrungen ein: von der Flucht aus der DDR, vom Jugoslawien-Krieg und aus der Flüchtlingsarbeit in Offenburg.

Eine durchdachte Inszenierung, die sehr stimmig mit vielen choreografischen Elementen arbeitet. Der Riesenapplaus für alle Beteiligten war hochverdient.


Text: J. Eiland-Jung – Badische Zeitung, 04. Dezember 2017

 

Fotos: P. Barone-Wagener

 

Theaterakademie stellt bei “Odysseus” aktuellen Bezug her

Fantasiereich inszeniert und mit deutlichen Verweisen in die heutige Zeit brachte die Junge Theaterakademie Offenburg zusammen mit dem Theater am »Grimmels« und den Hauswirtschaftlichen Schulen Offenburg eine unvergängliche Geschichte auf die Bühne: die Irrfahrten des Odysseus.

Es ist der zweite Teil des ältesten Opus der Welt, die Heimreise des listenreichen Odysseus nach dem gewonnenen Trojanischen Krieg. Der Weg ist nicht wirklich weit, aber dem kecken Odysseus unterläuft ein verhängnisvoller Fehler, nachdem er mit seinem Erfindungsreichtum einmal mehr sich und die Gefährten retten konnte: Statt bei dem praktischen Alias »Niemand« zu bleiben, nennt er dem geblendeten Zyklopen Polyphem seinen richtigen Namen, der ihm prompt seinen Vater Poseidon auf den Hals hetzt. Keine gute Idee, sich den Zorn des Meeresgottes zuzuziehen, wenn man über eben dieses Meer reisen muss, um die geliebte Heimat wiederzusehen…

Schon in der Polyphem-Episode zeigte sich der ganze Einfallsreichtum des Regieteams Paul Barone, Nina Labiche, Patrick Labiche und Sebastian Scheringer exemplarisch. Sehr pfiffig wird aus dem Riesen, der naturgemäß nur sehr schwierig einigermaßen realistisch auf der Bühne darzustellen ist, ein Wesen, das nicht in die Höhe, aber quasi »in die Masse« geht: Ein vielköpfiges, -armiges und -beiniges Monster-Menschenbündel von überaus dickfelligem Gemüt.

Auge mit Eigenleben

»Uuups, isser tot?«, fragt sich das Wesen, nachdem es einen Unglücksraben zermalmt hat, und freut sich gleich darauf: »Am besten schmeckt mir eh griechisch.« Das Zyklopenauge hat gar ein Eigenleben und hüpft als fast nur aus Auge bestehendes Zwerglein herum. Ähnlich plakativ überzogen dargestellt sind die mörderischen Lästrygonen, die als tumbe Deppen-Armee beim Steine schleppen eine tolle pantomimische Leistung abliefern.

Odysseus, dazu verflucht, fremd und schutzlos auf dem Meer zu treiben, »ein Flüchtling ohne Heimat«, erlebt eine Höllenfahrt. Und wenn das Schauspiel immer wieder Texte einflicht, die das Schicksal flüchtender Menschen in heutiger Zeit behandeln, dann gleichen sich die Bilder oft erschreckend.

Mit Steinen beworfen

So wird die Flucht einer Sechzehnjährigen im Bosnienkrieg beschrieben – auch sie und ihre Familie wurden von den Feinden mit Steinen beworfen. Daneben stehen sehnsüchtige Passagen, die »Heimat« einerseits verklären, andererseits aber als Ort definieren, der weniger von einem Platz auf der Erdkugel als von Menschen bestimmt wird.

Abgerundet wird das tolle Spiel von Kostümen und Kulissen der Hauswirtschaftlichen Schulen und vor allem von der Musik, die Gerhard Möhringer-Groß eigens für dieses Theaterprojekt komponiert hat. Einmal mehr ist der Jungen Theaterakademie und ihren Kooperationspartnern ein Meilenstein gelungen – was ganz offensichtlich nicht verborgen blieb. Der Salmen war zum Platzen gefüllt mit einem restlos begeisterten Publikum.

Die Darsteller

Leon Herb (Odysseus), Felicia Engert (Penelope), Finnegan Melchior (Telemachos), Magdalena Heß (Hestia), David Povkh (Poseidon), Jonas Rieder (Hermes), Onisha Wilsi (Circe), Farin Moghimi (Calypso), Aaron Werner (Eurylochos), Jonas Kiefer (Damianos), Falk Endlich (Hippokratis), Andreas Hansmann (Agenor), Dominique Bergen (Kimon), Simon Frädrich (Eumaios), Emil Heß (Jaron), Felix Fischer (Elpenor), Sabrina Fritsch (Eurykleia), Lara Britsch (Melantho), Undine ­Gloski (Arete), Paula Neckermann (Nausikaa), Sidney Kiefer, Mariya Manashirova, Jenny Sauer und Antonia Warth (Nausikaas Freundinnen), Lili Albrecht, Emelie Kalkoff, Lara Neckermann und Julia Sanner (Chor der Elemente), Liliana Herb (Chor der Monster) und Hejaz Nadri (Sprecher Voice Over).

Text: R. Heilig – Mittelbadische Presse, 07. Dezember 2017