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„Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.“ (Aurelius Augustinus)

Diese Aussage veranschaulichten die vier Referenten am Donnerstag, den 21.06.2018, indem sie der Jahrgangsstufe 1 ihre Erfahrungen mit einem Freiwilligendienst im Ausland vorstellten. Ihre Präsentationen belegten eindrücklich: Eine gute Gelegenheit, weitere „Buchseiten“ zu sehen, ist, das Reisen mit sozialem bzw. ökologischem Einsatz zu verbinden – und nach dem Abitur einen Freiwilligendienst im Ausland zu leisten. Wie sich das konkret in der Nähe oder Ferne gestalten lässt, erfuhren die Zuhörer/-innen bei den sehr persönlich gestalteten Erfahrungsberichten der vier Referenten.

Die Möglichkeiten dazu sind vielfältig, wie die Referate zeigten: Ob als „volunteer“ in einem Seminar- und Tagungshaus an der Ostküste Nordirlands, als „voluntaria“ in einer peruanischen Pfarrgemeinde, als Freiwillige in einem ökumenischen Jugendzentrum in Belfast oder als weiterziehender „wwofer“ auf Bio-Farmen in Neuseeland – alle vier Vortragenden verwiesen auf prägende Erlebnisse.

Angesichts ablaufender Bewerbungsfristen sollten sich Interessierte möglichst bald um ihre Anmeldung kümmern. Wer noch Fragen dazu hat, kann sich gerne an Frau Burth wenden (auch für Kontaktadressen).

Hiermit danken wir den vier Referenten Anna Lena Bleier, Viola Schreiber, Helena Mandok und Jakob Ellensohn nochmals ganz herzlich!

 

Text und Foto: V. Burth

 

Jugendliche Flüchtlinge auf einer der gefährlichsten Routen der Welt – Lesung mit dem Jugendbuchautor Dirk Reinhardt zu seinem Buch ‚Train Kids‘

Am 7.6.2018 war Dirk Reinhardt zu einer Lesung mit seinem Jugendbuch ‚Train Kids‘ am Grimmelshausen-Gymnasium zu Gast. Sechs Klassen ließen sich von den dramatischen Schicksalen einiger lateinamerikanischer Jugendlicher anrühren, denen tatsächliche Begegnungen des Autors zugrunde liegen. Eine Schülerin aus Klasse 9 schrieb die folgende Reportage…

 

Es ist 13:55 Uhr. Ein stickig-heißer Tag im Juni, aber dennoch herrscht im überhitzten Theaterraum des Grimmelshausen-Gymnasiums ein so reger Andrang wie sonst nur bei den Vorführungen während des Sommerfests.

Fast hundert Menschen haben sich hier versammelt, hauptsächlich Schüler, von denen die meisten jetzt wohl lieber im Bus auf dem Heimweg oder sogar schon zuhause auf dem Sofa säßen. Dennoch sind viele bereits rege dabei, ihre Exemplare von „Train Kids“ signieren zu lassen – von Dirk Reinhardt, der geduldig auf das Eintreffen der übrigen Zuschauer- und Zuhörer wartet. Nachdem alle eingetroffen sind, schließt man die Türen und augenblicklich wird es merklich stiller im Raum. Es wird eine lange Lesung, das wissen oder vermuten die meisten und bei annähernd dreißig Grad im Schatten gilt es, sich angemessen auf die folgenden beiden Schulstunden vorzubereiten. Dazu gehören bei vielen das Buch, das heute vorgestellt werden soll, eine Flasche Wasser oder Block und Stift, die wahlweise zum Mitschreiben verwendet werden oder um sich die Zeit mit Zeichnen zu vertreiben.

Als Dirk Reinhardt das Mikrophon an sich nimmt, verstummt jedoch auch das letzte Gemurmel endlich und der Autor des erfolgreichen Jugendbuchs stellt sich und sein Werk mit einigen Sätzen vor. Die Handlung, die sich um fünf südamerikanische Jugendliche auf dem Weg in die USA dreht, hat einen gleichermaßen wahren wie ernsten Hintergrund. In vielen Ländern Mittel- und Südamerikas, in Ländern wie Guatemala, Honduras oder El Salvador, sei die Armut oft so groß, dass selbst die Kinder arbeiten müssten, um dabei zu helfen, die Familie zu ernähren. Sie arbeiten als billige Arbeiter in Textilfabriken, suchen verwertbare Gegenstände und Lebensmittel auf Müllhalden oder lauern Autos an roten Ampeln auf, um die Windschutzscheiben gegen ein kleines Taschengeld zu putzen.

Dabei kommt es allerdings auch vor, dass die Väter ihre Familien verlassen und die Mütter mit oft vielen und kleinen Kindern zurücklassen, was die Zurückgelassenen vor ernsthafte Probleme stellt. Wie er uns mithilfe einiger Bilder verdeutlicht, ist es für Frauen in Süd- und Mittelamerika beinahe unmöglich alleine für die Familie zu sorgen, da dort die Gleichberechtigung noch nicht sehr weit fortgeschritten ist. Viele entschließen sich deshalb dazu, die Kinder bei entfernten Verwandten, Nachbarn oder Freunden unterzubringen und ihr Glück in den USA zu versuchen, da dieses große und reiche Land im Norden ihnen ganz andere Chancen bietet.

Die Träumereien und Geschichten, die man sich über die USA erzählt, treffen jedoch nur selten zu und so platzt der “American Dream“ bei vielen schon in den ersten Monaten wie eine Seifenblase. Aus den angestrebten ein oder zwei Jahren, nach denen die Mütter zu ihren Kindern mit dem verdienten Geld zurückkehren wollten, werden rasch ein halbes Dutzend oder noch mehr. Und nach so langer Zeit entschließen sich viele der Kinder, die inzwischen zu Jugendlichen geworden sind, die jüngeren Geschwister zu verlassen und ihrer Heimat den Rücken zu kehren, um auf die Suche nach den Müttern zu gehen.

Allerdings müssen die jungen Flüchtlinge auf dem Weg dorthin ganz Mexiko durchqueren, ein für unsere Verhältnisse wildes und ungezähmtes Land. Die Reise ist lang, beschwerlich und nicht ganz ungefährlich, aber dennoch machen sich Zehntausende auf. Sie legen mehrere Tausend Kilometer zurück, meist auf den Dächern fahrender Güterzüge und durch die verschiedensten Biome hindurch. Dschungel, Gebirge und Wüsten sind nur einige wenige Beispiele der Natur Mexikos. Zu beiden Seiten der Gleise lauern Banditen, die es auf die Ersparnisse der Flüchtenden abgesehen haben. Die Polizei ist so korrupt wie gewaltbereit und allein das Aufspringen auf die Züge fordert jede Menge Todesopfer. Dennoch üben die Vereinigten Staaten eine bizarre Anziehungskraft auf die Flüchtlinge aus, sodass sich viele trotz mehrmaligen Scheiterns wieder und wieder auf den Weg machen, oft dreimal, viermal, zehnmal.

Um diese Reise voller Gefahr möglichst authentisch wiederzugeben, bereiste Dirk Reinhardt selbst für einige Wochen Mexiko, um sich ein genaueres Bild der Odyssee zu machen. Dabei sprach er mit vielen Jugendlichen, fragte nach ihren Beweggründen und Erlebnissen, vermischte diese mit einer Prise Fiktion und erschuf ein Buch, dem kürzlich sogar ein katalonischer Literaturpreis verliehen wurde. Dies berichtet er uns nicht ohne Stolz und fügt hinzu, dass es auch ins Japanische übersetzt wurde, von dem er kein Wort versteht. Dennoch steht es in seinem Bücherregal. Anschließend setzt er sich, um uns mit der eigentlichen Lesung in seinen Bann zu ziehen, die drei verschiedene Kapitel umfasst und ungefähr eine halbe Stunde lang andauert.

Darin lernt man die fünf Hauptcharaktere besser kennen: den vierzehnjährigen Miguel aus einem Dorf in den Bergen Guatemalas, der aufbricht, um seine Mutter zu suchen; den furchtlosen Emilio; Ángel, den kleinsten und jüngsten von ihnen; Jaz, die eigentlich Jasmina heißt und sich als Junge ausgibt; und Fernando, der bereits einige Male an der beschwerlichen Reise scheiterte.

Man begleitet sie unter anderem bei ihrem ersten Sprung auf einen fahrenden Zug und spürt förmlich ihre Angst, dass einer von ihnen zurückbleiben könnte. Man lernt die mexikanische Polizei etwas besser kennen, vielleicht sogar zu gut, die so gar nicht Freund und Helfer ist. Und man stellt dann doch erleichtert fest, dass es noch Gutes auf der Welt gibt, als sich ein Padre und seine Gemeinde den Verfolgern in den Weg stellen, um die fünf Jugendlichen zu schützen. Es ist ein auf und ab der Gefühle und trotz der sommerlichen Hitze im Theaterraum sind wir dann doch enttäuscht, als die Lesung nach einer guten halben Stunde zu Ende ist.

Viele der Schüler besitzen ohnehin ein Exemplar des Buches und man kann die Überlegung der anderen beinahe hören, sich ebenfalls eines zuzulegen. Zu groß ist die Verlockung, zu erfahren, wie es mit Miguel und seinen Begleitern weitergeht und wer von ihnen es nun letztendlich über die rettende Grenze in ihr Land der Träume schafft, die USA.

Der Autor lässt sich auch vom Schulgong nicht beirren, der zur Pause ruft, als er gerade dabei ist die Fragerunde zu eröffnen. Zu Beginn kommen die Fragen nur spärlich: In welche Sprachen das Buch übersetzt worden sei, ob er denn selbst spanisch spreche und ob er wirklich ein Mädchen wie Jaz kennengelernt hätte, das sich als Junge ausgab. Die Antworten sind dafür umso ausführlicher und so erfahren wir unter anderem, dass Dirk Reinhardt innerhalb mehrerer Wochen etwa 600 Kilometer der Bahnstrecke quer durch Mexiko abfuhr und dass er mithilfe eines Aufnahmegeräts die Berichte seiner Begegnungen festhielt.

Brisanter wird es, als die Frage fällt, ob er selbst problematische Begegnungen mit der Polizei gehabt habe, die rigoros und mit mehr oder weniger legalen Methoden gegen kritische Berichterstattung vorgeht. Ja, da hätte er durchaus seine Erfahrungen gemacht, erzählt der Autor. Er berichtet von Autokontrollen alle paar Kilometer, Schikanen und Durchsuchungen. Der Gipfel war, dass man am Flughafen seine gesamte Ausrüstung beschlagnahmt habe, sagt er auf Nachfrage und fügt hinzu, Kamera, Laptop und Tonbandgerät hätte er bis heute nicht wiedergesehen. Allerdings war es ihm doch gelungen, all seine gesammelten Dateien per Email nach Deutschland zu schicken und der übereifrigen Polizei so ein Schnippchen zu schlagen.

So gelang es ihm innerhalb eines Jahres ein Buch zu erschaffen, das nicht zuletzt dank der aktuellen Brisanz unerwartet hohe Verkaufszahlen erzielen konnte. 2015 erschienen, wurde es bisher mit dem Titel Buch des Monats April 2015 und dem Friedrich-Gerstäcker-Preis 2016 ausgezeichnet und ebenfalls 2016 für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Doch trotz seines großen Erfolgs als Autor nimmt Dirk Reinhardt sich Zeit für Lesungen an Schulen, besucht an einem Nachmittag im Hochsommer lieber unser Gymnasium anstatt das Schwimmbad und beendet seine Lesung pünktlich zum Gong.

Viele Schüler sind schon halb auf dem Weg nach draußen, um nicht ihren Bus oder Zug zu verpassen, bei denen sie selbstverständlich regelkonform einsteigen und nicht aufspringen wie die Jugendlichen in Dirk Reinhardts Roman. Doch die meisten nehmen sich zumindest noch einige Minuten Zeit, klatschen und eilen nach vorn, um noch die ein oder andere Frage zu stellen oder sich ein Autogramm abzuholen.

Es ist Leben in die Zuschauermenge gekommen, die der Autor nun doch von seinem Buch überzeugen und dafür begeistern konnte. An diesem schwül-heißen Tag Anfang Juni im Theaterraum des Grimmelshausen-Gymnasiums.

Text: J. Forster

Bild: C. Haist